Wirtschaftsnobelpreis 1975: Leonid Witaljewitsch Kantorowitsch — Tjalling Koopmans

Wirtschaftsnobelpreis 1975: Leonid Witaljewitsch Kantorowitsch — Tjalling Koopmans
Wirtschaftsnobelpreis 1975: Leonid Witaljewitsch Kantorowitsch — Tjalling Koopmans
 
Der russische und der amerikanische Ökonom erhielten den Nobelpreis »für ihre Beiträge zur Theorie der effizienten Ressourcennutzung«.
 
 Biografien
 
Leonid Witaljewitsch Kantorowitsch, * Sankt Petersburg (Russland) 19. 1. 1912, ✝ Moskau 7. 4. 1986; 1930-32 Dozent am Leningrader Institut für industrielle Bautechnik, 1935-60 Professor an der Universität Leningrad, 1961-71 Leiter der wirtschaftsmathematischen Sektion der Akademie der Wissenschaften in Nowosibirsk (Sibirien), 1965 Leninpreis, 1971-76 Leitung der Forschungsabteilung des Instituts für Nationale Wirtschaftskontrolle in Moskau.
 
Tjalling Charles Koopmans, * 's Graveland (Niederlande) 28. 8. 1910, ✝ New Haven (Connecticut) 26. 2. 1985; 1936-38 Dozent an der School of Economics in Rotterdam, 1938 Doktor der Philosophie, 1940 Flucht in die USA, Statistiker für die britische Handelsschifffahrt in Washington, ab 1944 Mitglied der Cowles-Kommission für wissenschaftliche Forschungen, 1946-55 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Chicago, 1955-81 an der Yale University in New Haven.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die Knappheit der Güter zwingt Wirtschaftssubjekte zu einer optimalen Verteilung der zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren auf alternative Verwendungszwecke. Eine möglichst effiziente Aufteilung der Ressourcen kann durch das Wirtschaftlichkeitsprinzip erreicht werden. Hiernach soll gemäß dem Minimalprinzip ein vorgegebener Ertrag mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz beziehungsweise nach dem Maximalprinzip mit den vorhandenen Produktionsfaktoren der größtmögliche Output erzielt werden.
 
Kantorowitsch und Koopmans widmeten sich diesem fundamentalen Problem wirtschaftlicher Aktivität. Innerhalb der normativen Wirtschaftstheorie beschäftigten sie sich mit Fragen zur Art der zu produzierenden Güter und der hierbei einzusetzenden Produktionsverfahren. Dabei versuchten sie herauszufinden, wie viel der gegenwärtigen Produktion konsumiert und welcher Anteil der Herstellung zukünftiger Güter zugeführt und für den Konsum von morgen reserviert werden sollte.
 
Zur Lösung des Problems der optimalen Ressourcenallokation setzten sie als Erste und unabhängig voneinander das mathematische Verfahren der linearen Programmierung ein. Während Kantorowitsch die lineare Optimierung im Bereich der volkswirtschaftlichen Planung einsetzte, unterzog Koopmans diese quantitative Methode zur Lösung betriebswirtschaftlicher Entscheidungs- und Planungsprobleme einer theoretischen Verallgemeinerung und machte sie unter dem Begriff Operation Research zum Fachgebiet der theoretischen Ökonomik. Heute ist das lineare Optimierungsverfahren weit verbreitet und findet Anwendung in Bereichen wie der Produktionsprogrammplanung, der Lagerhaltung und des Transports.
 
 Optimale Allokation der Ressourcen
 
Obwohl Kantorowitschs wissenschaftlicher Hintergrund zunächst rein mathematisch war, zeigte er doch ein großes Gespür für volkswirtschaftliche Problemstellungen. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten legte er eine Reihe von Möglichkeiten dar, wie eine Funktionsanalyse zur Ergebnisverbesserung in unterschiedlichen Unternehmensbereichen eingesetzt werden kann. Ende der 1930er Jahre erkannte er, dass bei zunehmender Industrialisierung die Erreichung der maximalen Produktion eine optimale Verteilung der Ressourcen erfordert. Bei gegebenem Maschinenpark musste die Produktivität der Anlagen unter bestimmten Restriktionen maximiert werden. So handelte auch sein erster Artikel im Bereich der Wirtschaftsforschung im Jahr 1939 von der Bedeutung und Notwendigkeit einer effizienten Ressourcennutzung in privatwirtschaftlichen Unternehmen. In seiner Monographie »The Best Use of Economic Resources« (englisch; Optimale Ressourcennutzung) wendet er ähnliche Effizienzbedingungen auf die gesamte Volkswirtschaft an und zeigt den Zusammenhang zwischen Ressourcenallokation und Preissystem auf. Er macht deutlich, dass die Dezentralisierung von Entscheidungen in einer Planwirtschaft von der Existenz eines rationalen Preissystems abhängig ist, in dem ein einheitlicher rechnerischer Zinssatz bei konkreten Investitionsentscheidungen zugrunde zu legen ist.
 
Über viele Jahre hinweg blieben die herausragenden Arbeiten des russischen Wissenschaftlers seinen westlichen Kollegen vorenthalten — umgekehrt war es in jener Zeit auch für herausragende Wissenschaftler der Sowjetunion schwierig, Zugang zu Publikationen ihrer westlichen Kollegen zu bekommen.
 
 Aktivitätsanalyse und Schattenpreise
 
Koopmans entwickelte im Rahmen seiner Arbeiten eine von ihm als Aktivitätsanalyse bezeichnete Theorie. Mit diesem neuen Ansatz innerhalb der Produktionstheorie verwendet Koopmans die Beziehung zwischen der Einsatz- (Input) und der Ausbringungsmenge (Output) eines Produktionsprozesses, die so genannte Aktivität, um den Zusammenhang zwischen effizienter Produktion und einem Preiskalkulationssystem herauszustellen. Dies führte zu einem neuen und interessanten Aspekt in der Verknüpfung von normativer Allokationstheorie und Allgemeiner Gleichgewichtstheorie.
 
Als Statistiker für die britische Handelsschifffahrtsmission ermittelte Koopmans mittels eines linearen Gleichungssystems optimale Routen nach dem Transportkostenkriterium. In einer weiterführenden Studie befasste er sich mit der optimalen Routenauswahl und den damit verbundenen Schattenpreisen des Transports. Diese Schattenpreise entstehen nicht durch marktwirtschaftlichen Gütertausch, sondern ergeben sich aus einem solchen Optimierungsansatz. Im speziellen Fall drückte Koopmans die Schattenpreise in Schiffstagen aus.
 
In den 1960er-Jahren galt sein Hauptinteresse der Ermittlung von Kriterien für ein optimales Wirtschaftswachstum. Koopmans untersuchte hierbei die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Entwicklungen in der Bevölkerungszusammensetzung, dem allgemeinen Konsumverhalten und dem technischen Fortschritt. Darüber hinaus beschäftigte er sich auch mit methodischen Fragestellungen in der Ökonometrie.
 
Koopmans' und Kantorowitschs Techniken fanden sowohl in kapitalistischen als auch in sozialistischen Wirtschaftssystemen ihre Anwendung, da beide Systeme auf der Notwendigkeit gründen, die zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal zu nutzen. Beide haben zur Analyse klassischer ökonomischer Probleme Methoden entwickelt, erneuert und verallgemeinert, um eine optimale Allokation knapper Ressourcen zu ermöglichen.
 
R. Füss, G. Vorsatz

Universal-Lexikon. 2012.

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